Dienstag, 21. September 2010

Krebs

Vielleicht habe ich es mal erwähnt: Ich schreibe unheimlich gerne. Aus irgendwelchen Gründen, die ich mir selbst nicht so ganz erklären kann, geht es mir dadurch besser. Deswegen schreibe ich meistens, wenn es mir wirklich scheiße geht. Das ist meine Art und Weise, dieses schlecht gehen zu kompensieren. Schreiben und weinen. Deswegen sind einige meiner Blogeinträge und viele meiner Kurzgeschichten (leider) sehr traurig/depressiv angehaucht. Von diesen Geschichten, will ich nach uns nach welche herausgeben, eben weil sie mir sehr viel bedeuten. Dafür habe ich schlussendlich auch diesen Blog erstellt.
Bitte fühlt euch gewarnt: meine Geschichten sind nicht Friede-Freude-Eierkuchen!


Fröhlich sah das kleine Mädchen zu ihrem Vater hinüber und umarmte ihn ganz fest, obwohl sie glaubte, ihn dabei zu erdrücken. Das war egal. Endlich war Wochenende, endlich war er einmal da um mit ihnen Spaß zu haben. Sie war Glücklich und drückte ihm zugleich einen ganz ganz festen Kuss auf die Wange. Heute war ein toller Tag. Ihr Vater drückte sie lachend auch an sich. Sie war sich sicher. Diese Welt war perfekt. Nichts würde sie zusammenbrechen lassen. Leid, Pech, Schmerz... das gab es nicht. Nicht hier, in der Wunderbaren Welt, in der sie lebte. In ihren Haus. Zusammen mit ihrem Bruder, ihrer Mutter ihrem Vater. Dem Hund. Sie löste sich von ihrem Vater und flitzte schnell auf die andere Seite des Tisches.

Es gibt heute kaum noch Dinge, an die sie sich nach all den Jahren erinnert. Ihr Gedächtnis ist nicht das beste, und irgendwie ist einfach viel zu viel Zeit vergangen. Aber sie weiß, dass damals eine schöne Zeit war. Eine Glückliche Zeit, zweifelsohne. Eine Zeit, in der man – besonders sie – nicht hätte denken können, dass irgendetwas sich ändern würde. Das sie größer werden würde. Das sie noch Geschwister bekommen würde, zumindest ist sie sich sicher, dass damals die anderen beiden noch nicht auf der Welt gewesen war.
Dann mussten sie umziehen. Von dem kleinen Paradies in Bayern, das bis dahin ihr einziges Zuhause gewesen war, mussten sie weg, weil ihr Vater eine Arbeit in Frankfurt gefunden hatte. Ein Jahr lang war er immer nur an den Wochenenden daheim gewesen und unter der Woche in einer kleinen Wohnung in der Stadt. Hin und wieder war die Familie in den Ferien bei ihm gewesen, hatte sich die Stadt angesehen. Nun wollten sie zu ihm ziehen. Der Mutter gefiel es nicht, nur noch eine „Wochenend-beziehung“ zu haben. Das Mädchen entschloss sich, in den Herbstferien eine Woche zusammen mit ihr nach Frankfurt zu fahren, und sich Häuser anzusehen, in die sie vielleicht ziehen würden. Nachts blieben sie in der kleinen Wohnung bei ihrem Vater, und Tagsüber, wenn er arbeitete, fuhren sie durch die Gegend, suchten Häuser, die für die Familie in Frage kam. Das war eine Beschäftigung, die eine ganze Woche in Anspruch nahm. Aber es war eine schöne Woche. Da sie drei Geschwister hatte, war das Mädchen es normalerweise nicht gewohnt, ihre beiden Eltern ganz für sich allein zu haben. Sie fand es wunderbar. Schön. Unbeschreiblich, wenn man mal alleine mit ihnen war. An einem Abend beschlossen die drei zusammen ins Kino zu gehen. Sie hat inzwischen keine Ahnung mehr, was für einen Film sie sich angesehen haben, aber sie erinnert sich noch ganz genau daran, wie es war, als sie über den Main gefahren sind. Es war schon dunkel, und man konnte wunderbar die leuchtende Stadt sehen. Da sie auf dem Land aufgewachsen war, mochte sie Städte nicht sonderlich gerne, doch bei diesem Anblick stockte ihr Atem.

Umgezogen waren sie nun. Das aller erste Haus, dass sie sich angesehen hatten, war es geworden. Im Grunde war es hier schön. Die Schule, in die sie nun ging war toll. In Bayern hätte sie wahrscheinlich dieses Jahr auf die Realschule – oder noch schlimmer, auf das G8 wechseln müssen- aber in Mainz schaffte sie es, ihre Noten zu verbessern, da dort der Stoff leichter zu verstehen war, und man noch nicht ganz so weit vorangeschritten war.
Die erschreckende Nachricht kam ca. ein Jahr nach dem Umzug. Ca schreibe ich hier, weil sie sich nicht mehr genau an die Zeit erinnert. Des öfteren hatte ihr Vater sich nun schon über Magenbeschwerden beschwert. Er war zu Ärzten gegangen, und die meinten, dass es wohl irgendetwas an seiner Leber war, das die Beschwerden verursachte. Er hatte sich untersuchen lassen, wieder und wieder. Irgendetwas würde schon sein. Nichts war gefunden worden.
„Ich muss mal mit dir reden“ Das Mädchen sah vom Bildschirm auf zu ihrer Mutter, die einen relativ ernsten Gesichtsausdruck machte. Was war los? Verwirrt stand sie auf und folgte ihrer Mutter in die Küche. Hatte sie irgendwas falsch gemacht? Das kam des öfteren vor, und meistens sah ihre Mutter sie dann auch so an. Aber sonst sagte sie ihr das offen ins Gesicht, und brachte sie dafür nicht in die Küche, weg von den anderen.
„Er hat Krebs.“ Einige Sekunden wusste sie nicht so genau, was sie sagen sollte, was sie von dieser Information halten sollte. „Magenkrebs“ Tränen stiegen in ihren Augen hoch. Krebs war es also? Man hatte ihn operieren lassen, weil irgendetwas mit seinem Magenausgang nicht gestimmt hatte, das wusste sie.
Nun erfuhr sie, dass man bei dieser Operation herausgefunden hatte, dass er Krebs hatte. Krebs.
Tränen stiegen in ihr auf. Krebs war keine schöne Krankheit. Sie wusste kaum etwas darüber, nur dass sie in den meisten Fällen tödlich war. Nein, das war keine Information, die sie unbedingt gebraucht hatte.

Natürlich glaubten sie alle fest daran, dass er die Krankheit irgendwie besiegen würde. Alles andere war nicht gut. Und anfänglich, nach den ersten Chemoterapien sah er wirklich gut aus. Die Medikamente schlugen gut an, glaubten sie. Und es hieß auch, dass der Krebs nicht weiter wuchs. Es würde alles gut werden, alles.

Wegen der Schmerzen war er irgendwann in eine andere Station verlegt worden. Ein Jahr lang hatte er sich nun mit der Krankheit auseinander gesetzt. Ein Jahr. Anfangs hatte er sogar noch arbeiten können. Hin und wieder war er im Krankenhaus gewesen, größtenteils wegen den Therapien, aber sonst war er zuhause gewesen. Die Kinder hatten gelernt, damit umzugehen, dass man vorsichtig mit ihm umgehen musste, wenn es ihm nicht gut ging.
Es gibt da noch eine Erinnerung in ihrem Kopf. Sie waren Einkaufen gefahren, zu zweit. Sie und ihr Vater. Er hatte inzwischen einen Behindertenausweis bekommen. Mit dem Auto waren sie gefahren, und er hatte es auf einen der Behindertenparkplätze abgestellt. Sie hatten sich einen Einkaufswagen genommen. Anfänglich war er ganz normal. Man konnte mit ihm zusammensein, reden, lachen. Er verhielt sich wie normal. Nur irgendwann, nach vielleicht einer dreiviertel Stunde bemerkte sie, dass es ihm zunehmend schwerer fiel, zu stehen und zu gehen.
Man merkte das es ihm nicht mehr gut ging und es tat ihr weh, das mit anzusehen.
Irgendwann blieb er dann im Krankenhaus. Es ging ihm zunehmend schlechter. Januar war es geworden. Inzwischen war auch ihre Mutter im Krankenhaus, um ihrem Mann beizustehen.
Sie stand in der Tür zu seinem Zimmer, war unfähig sich zu bewegen. Aber dennoch war ihr Blick auf ihren Vater geheftet, der dort im Bett lang und sich kaum bewegte. War er wach? Sie konnte es nicht sagen. Irgendwann nahm einer der Krankenpfleger vorsichtig ihre Hand und setzte sie auf die eine Seite des Bettes ihres Vaters. Nahm seine Hand und legte diese in die Ihre. Sie hatte Angst davor ihn anzufassen, obwohl sie nicht wusste warum. Aber nun saß sie hier, seine Hand in der ihren, und konnte die Tränen nur noch schwerlich zurückhalten.
Wieso hatte es so kommen müssen.?
Der Tod findet einfach nicht statt,
So, als ob man ihn niemals unter uns gesehen hat.
Wir leben dämlich, fett und froh;
Gestorben wird nicht hier, man stirbt nur anderswo.
Ein seltsamer Liedtext, und gleichzeitig so Passend. Sie wusste nicht, wie lange sie dort an seinem Bett saß, seine Hand hielt und sich hin und wieder die Tränen vom Gesicht wischte. Irgendwann hieß es dann, dass sie gehen würden. Es war schon spät. Theoretisch war morgen Schule. Wollte sie überhaupt dorthin? Sie wollte doch nicht einmal seine Hand loslassen. Hin und wieder hatte er sie gedrückt. Ganz sanft. Ohne Kraft. Aber er hatte gespürt dass sie dort saß, dass sie hier war, bei ihm. Als sie im Auto saß, betrachtete sie ihre Andere Hand. In der hatte sie ihren Ring gehalten und hin und wieder ganz fest geknetet. Jetzt konnte man dort teilweise die abdrücke erkennen. Aber den Schmerz in der Hand spürte sie kaum.
Am nächsten Tag ging sie nicht in die Schule. Ihre Mutter schrieb eine Entschuldigung für sie. Es war schwer für sie alle.
Am nächsten Tag hatte ihr Bruder, der große, Geburtstag. Sie beschloss nach der Schule kurz ins Krankenhaus zu fahren, und von dort aus erst nach Hause. Sie traf ihre Mutter in seinem Zimmer. Etwas anderes hatte sie nicht erwartet. Es war eine Komisches Gefühl wieder hier zu sein. Eigentlich hatte sie sich nach dem letztem Besuch geschworen nicht noch einmal herzukommen. Doch dieses mal wusste sie in etwa, was sie erwarten würde. Diesmal war es nicht ganz so schlimm.
Doch für immer würde wohl sein schwerer Atem auf ihren Ohren lasten. Noch heute hörte sie ich manchmal in der Nacht, wenn sie alleine war. Hätte sie bei diesem kurzem Treffen gedacht, dass es das letzte mal sein würde, dass sie ihn sah? Hätte sie gedacht, dass sie am nächsten morgen, ganz früh ihre Mutter in der Küche vorfinden würde, auf der Theke sitzend und das Gesicht in die Hände vergraben? Ohne das ein Wort gesprochen wurde, hatte sie gewusst, was geschehen war.

Anhang:
Zitat
nobody (08:21 PM) :
Und : Krebspatienten sterben immer erst dann, wenn sie zufrieden sind. das ist wirklich so! Rainer hat noch so lange gekämpft, bis er endlich seine Mutter nochmal "gesehen" hat, wenn man das sagen kann, er war fast nie wach.
Mein Großonkel hat gewartet, bis alle in gehen ließen.
Meine Uroma, die unbedingt 90 werden wollte, is in der Nacht vor ihrem Geburtstag fast gestorben, aber sie hat noch so lange weitergelebt, bis sie 90 war.
Bines Opa ist erst gestorben, als er zufrieden im Hospiz war und hat allen am Abned zuvor noch gesagt, dass es ihm sehr gut geht da.
Dein Vater muss zu dem Zeitpunkt glücklich gewesen sein, denke ich =) Vergiss das nicht!

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